Kinderleben heute und vor 111 Jahren

Ein fiktives Interview

Wie Kinder vor 111 Jahren wohl gelebt haben? Wie sie gewohnt haben und wie es damals in der Schule war? Das interessiert Hanna. Sie ist 10 Jahre und lebt in Mannheim. Schade, dass es noch keine Zeitreisen gibt. Also haben wir Klara erfunden, ein Mädchen, das so alt ist wie Hanna und mit ihrer Familie auf einem Bauernhof lebt. Ein Gespräch über ein Jahrhundert hinweg.

Hanna (2018): Gehst du gerne in die Schule? Ich bin in der 4.Klasse und die Lehrer sind ganz ok.

Klara (1907): Es geht so, wir haben nur einen Lehrer und der ist sehr streng. Wie müssen ganz still und gerade sitzen und die Hände immer auf dem Tisch haben. Wenn wir zappeln oder seine Fragen nicht beantworten können, schlägt er uns mit dem Stock. Das ist gemein und tut weh. Aber der Lehrer darf das, das ist Gesetz. Dumm finde ich auch, dass alle Kinder aus dem Dorf in einem Klassenzimmer unterrichtet werden. Wenn der Lehrer die Kleinen unterrichtet, müssen wir ganz stillsein und alleine Rechenaufgaben lösen und Schönschrift üben. Das ist so langweilig.

Hanna (2018): Das kann ich mir vorstellen, ich bin froh, dass das bei uns lockerer ist. Welches Fach magst du denn am liebsten? Ich finde Sport super. Am liebsten spiele ich Fußball und Tischtennis, aber das mache ich nur außerhalb der Schule.

Klara (1907): Sport, das ist komisch. Wir Mädchen treiben doch keinen Sport! Mein Bruder würde gerne boxen, aber das darf er nicht. In der Schule lernen wir ein Rechnen, Lesen, Schreiben und Religion. Am besten gefällt mir Singen.

Hanna (2018): Singen ist nicht so mein Ding. Was machst du eigentlich nach der Schule? Ich spiele mit meinen Freundinnen am liebsten auf die Straße: Fußball oder Verstecken mit einem Walki Talki.

Klara (1907): Was ist denn ein Walki Talki? Hab ich noch nie gehört. Verstecken spiele ich auch gerne und Fangen. Und wenn ich alleine bin, kümmere ich mich um meine Puppe. Aber ich muss ziemlich viel arbeiten, weil wir uns keine Magd leisten können. Wenn die Schule mittags aus ist, muss ich meiner Mutter helfen, Kartoffel schälen, Geschirr spülen, dann gehen wir alle aufs Feld und abends füttere ich die Kühe. Ja und dann pass ich oft noch auf meinen kleinen Bruder auf, der ist 1 Jahr alt. Ich soll jetzt schon üben,  eine gute Hausfrau und Mutter zu werden. Aber ich hab‘s noch gut. Ein Cousin von mir, der ist 12, muss jeden Tag 6 Stunden in der Fabrik arbeiten und eine Cousine von mir muss sich als Zimmermädchen bei reichen Leuten verdingen, weil ihr Vater starb und sie kein Geld haben. Deshalb darf sie auch nicht auf die Schule gehen.

Hanna (2018): Das ist echt krass. Ich muss auch mithelfen, aber nicht so viel, den Tisch decken, Müll rausbringen und Getränke aus dem Keller holen.

Klara (1907): Hast du es gut. Ich stehe morgen um 5 auf, helfe meiner Mutter und füttere die Hühner. Dann gehe ich um 7 Uhr in die Schule. Um 12 bin ich wieder zurück, muss bis 5 Uhr nachmittags mitarbeiten, dann mache ich schnell Hausaufgaben und abends um 8 Uhr muss ich ins Bett. Spielen können wir eigentlich nur am Sonntag.

Hanna (2018): Hast du eigentlich viel Spielzeug?

Klara (1907): Nein, das haben bei uns nur Kinder mit ganz reichen Eltern. Ich bastele mir mein Spielzeug selber, ich habe mir eine Puppe gehäkelt und aus Kartons eine Puppenstube gebastelt und wenn ich meiner Puppe etwas backe, nehme ich Sand und Wasser und dekoriere den Kuchen mit Gras. Letztes Weihnachten hat uns meine Tante einen Teddy geschenkt, aber den muss ich mit meinen Geschwistern teilen.

Hanna (2018): Ich bastele auch sehr gerne, aber ich habe auch ziemlich viel Spielzeug. Mein Kinderzimmer ist ganz schön voll.

Klara (1907): Was ist denn ein Kinderzimmer?

Hanna (2018): Das ist mein Zimmer, ganz für mich alleine. Kennst du das nicht? Wo schläfst und spielst du denn?

Klara (1907): Ein Zimmer ganz für mich alleine, das hätte ich auch gerne. Wir sind zu siebt und haben nur eine Küche, eine Stube und ein Schlafzimmer. Ich schlafe zusammen mit meiner Schwester in einem Bett, im Zimmer meiner Eltern. Da ist es mir oft zu eng, deshalb übernachte ich im Sommer gerne auf dem Heuboden. Da piekst es, aber sonst ist es ok. Ich hätte so gerne ein eigenes Bett, aber das bekomme ich erst, wenn ich groß bin.

Hanna (2018): Dann kannst du dir bestimmt eins kaufen. ich kauf mir ein Auto, wenn ich groß bin und einen Hund. Am besten finde ich es, dass ich dann alles selbst bestimmen kann.

Klara (1907): Ja, das fände ich auch gut. Jetzt muss ich immer genau machen, was meine Eltern oder die anderen Erwachsenen mir sagen. Ist das bei dir auch so?

Hanna (2018): Ja ich muss auch gehorchen, aber ich kann auch schon selber Dinge entscheiden und meine Eltern machen schon auch öfters, was ich möchte.

Klara (1907): Ich glaube, ich komme zu dir in die Zukunft.

© Rita Spatscheck