Stadtmagazin Meier, 1989

Riss im Himmel quer

Dokumentation einer Trauer. Von Caitlin Thomas

Den größten Teil ihres Lebens verbrachte Caitlin Thomas damit, die Frau des berühmten Dramatikers und Lyrikers Dylan Thomas zu sein. Jetzt ist er tot, der Boden ihrer „Einzig-und-allein-Dylan-Welt“ gibt nach und sie fällt: in die modrige Gruft der walisischen Rollenvorstellungen von Witwenschaft, die gleichbedeutend sind mit dem Zustand einer Scheintoten und in den Säurestrudel ihrer verzweifelten, wütenden Trauer über den toten Dylan, dessen Abwesenheit sie als ewigen unstillbaren Mangel wahrnimmt. „Ich möchte den langen, kalten, vernagelten Sarg und ihn auseinanderbrechen. Um dort kopfüber mein heißes Fleisch in seines zu pressen, ihn mit meinen starken Knochen zerquetschen und uns zusammenmengen, zu mischen bis Tod und Leben zur ersehnten Einheit werden.“

Aufgescheuert vom Fels der Erinnerungen

Caitlin Thomas geht nach Italien, auf der Suche nach neuen Möglichkeiten zu leben. Ein Hirngespinst, wie es sich bald herausstellt. Auch dort, „Wo Frauen in Mottenkugeln konserviert … einmal im Jahr zum Lüften herausgebracht werden“, wird sie trotz aller Gegenwehr in die Zwangsjacke der sexuell abstinenten Witwenschaft gepresst, auch dort stößt sie an allen Ecken und Enden auf Dylan, trotz einer neuen Liebesbeziehung. Sie kehrt zurück, aufgescheuert von dem kantigen Fels der Erinnerungen, an den sie immer wieder geschleudert wird.

Einzigartiges Psychogramm einer Trauer

Jahre später schreibt sie diese Autobiographie, die jetzt erstmals in einer hervorragenden deutschen Übersetzung von Sigrid Toth vorliegt. Das Buch ist für jede Dylan Thomas Gourmet ein Festschmaus, der seinesgleichen sucht. Er ist auch eine bitterböse Persiflage auf die bigotte Engstirnigkeit ihrer italienischen und walisischen Umgebung. In erstenr Linie ist das Buch jedoch ein einzigartiges Psychogramm ihrer Trauerarbeit. Ihr Schreiben ist der Versuch, die durch den Tod Dylans zersplitterten Teile ihrer Persönlichkeit, die sie noch nicht so recht zusammenfügen kann, wie in einem Gefäß zu sammeln, damit sie nicht verloren gehen.

Ihre Sprache hat die Gewalt riesiger Wellen

So „maßlos, … zornig und grau, wogenrollend und grollend“ wie ihrer Trauer ist ihre Sprache. Wie riesige Wellenbrecher rollen ihre Wortgewalt und ihre schrillen monumentalen Metaphern über mich als Leserin hinweg, entziehen mir den Boden der kritischen Distanz und zerren mich bis zur letzten Seite durch die Schluchten ihrer zerrissenen Gefühlswelt. Ich bleibe zurück, atemlos und staunend, denn so etwas habe ich noch nie gelesen.


© Rita Spatscheck